Die idiopathische intrakranielle Hypertonie (IIH; früher auch als Pseudotumor cerebri oder benigne intrakranielle Hypertonie bezeichnet) ist ein Syndrom erhöhten intrakraniellen Drucks („Hirndruck“) unklarer Ätiologie, d.h. die Ursache ist nicht vollständig bekannt.
Die berichtete Inzidenz (d.h. so viele Patient:innen erkranken pro Jahr neu) in der westlichen Allgemeinbevölkerung beträgt 1-2:100.000 und ist bei adipösen Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren bis zu 20-mal höher. In den letzten Jahren wurde ein deutlicher Anstieg der Inzidenz bis zu einer Verdreifachung in der Allgemeinbevölkerung aufgrund der pandemisch zunehmenden Adipositas berichtet. Die wesentlichsten Risikofaktoren sind Adipositas, Gewichtszunahme, weibliches Geschlecht und Schwangerschaft. Angesichts der erhöhten Inzidenz bei Frauen und der starken Assoziation mit Adipositas spielen Sexualhormone und Fettgewebe möglicherweise eine Rolle bei der Krankheitsentstehung. Trotz dieser Häufung ist hervorzuheben, dass eine IIH in allen Altersgruppen beider Geschlechter und auch bei normalgewichtigen Personen vorkommen kann.
Zu den Hauptsymptomen der IIH gehören Kopfschmerzen und Sehstörungen, die durch eine druckbedingte Schwellung des Sehnervenkopfes (Papillenödem) verursacht werden und von verschwommen sehen, über vorübergehendes Dunkel- oder Schwarzsehen (transiente Obskurationen) bis hin zu Gesichtsfeldeinschränkungen und Blindheit reichen, wenn nicht rechtzeitig behandelt wird.
Kopfschmerzen sind das häufigste Symptom der IIH und kommen bei mehr als 80% vor. Die Art der Kopfschmerzen ist dabei sehr variabel und oft primären Kopfschmerzerkrankungen, wie z.B. Migräne, sehr ähnlich. Das Kopfschmerzausmaß korreliert oft nicht mit dem intrakraniellen Druck und verbessert sich auch nicht immer durch dessen Senkung. Zusätzlich ist ein Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (MOH) bei IIH häufig.
In der Mehrzahl der IIH-Patient:innen bleibt der Gesichtsfeldverlust durch das Papillenödem so lange unbemerkt, bis er schwerwiegend und irreversibel ist, was die Bedeutung der Perimetrie (Gesichtsfelduntersuchung) bei der Bewertung und Überwachung unterstreicht. Andere Symptome umfassen Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, pulsierenden Tinnitus oder Doppelbilder.
Da es sich bei der IIH um eine Erkrankung ohne eindeutig beweisenden (pathognomonischen) Marker handelt, müssen andere Ursachen für einen erhöhten intrakraniellen Druck ausgeschlossen werden. Die Basis für die Diagnose stellt das Vorliegen von Symptomen und/oder Anzeichen eines erhöhten intrakraniellen Drucks dar, d.h. ohne Klinik kann eine IIH nicht diagnostiziert werden.
Je nach Vorliegen eines Papillenödems wird die IIH als IIH oder IIH ohne Papillenödem (IIH-WOP) klassifiziert. Weibliche Patienten mit Body-Mass-Indizes (BMI) >30 werden als "typische IIH" bezeichnet, Patient:innen mit "atypischer IIH" haben einen niedrigeren BMI und/oder männliches Geschlecht.
Die Magnetresonanztomographie (MRT) dient primär zum Ausschluss anderer Ursachen eines erhöhten Hirndrucks wie z.B. eines Tumors. Zusätzlich kann die MRT indirekte Hinweise auf eine IIH liefern, wie a) verminderte Höhe der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) auch „empty sella“-Zeichen genannt, b) erhöhter Durchmesser der Sehnervenscheide, c) Abflachung des hinteren Augapfels, und d) Verengung (Stenose) der venösen Blutleiter im Gehirn (Sinus transversus).
Die Lumbalpunktion (LP, auch „Kreuzstich“ genannt) ist in der Abklärung bei Verdacht auf IIH unumgänglich, insbesondere um häufige Fehldiagnose zu vermeiden. Die LP hat eine doppelte Funktion bei der Diagnose einer IIH. Erstens wird sie durchgeführt, um das Vorhandensein eines erhöhten intrakraniellen Drucks zu bestätigen. Zweitens ist eine Untersuchung der Bestandteile des Liquors (Hirnwasser) erforderlich, um andere Ursachen für einen erhöhten intrakraniellen Drucks auszuschließen (z. B. infektiöse oder inflammatorische Erkrankungen). Der normale intrakranielle Druck bei Erwachsenen beträgt 10cm bis 20cm Wassersäule. Ein Druck von mehr als 25cm gilt als eindeutig erhöht, ein Druck von 20-25cm als grenzwertig, wenn auch wahrscheinlich abnormal bei Patient:innen mit Symptomen und/oder Anzeichen eines erhöhten intrakraniellen Drucks.
Mittels der optischen Kohärenztomographie (OCT) können nichtinvasiv und objektiv Veränderungen der retinalen Nervenfaserschicht (RNFL) und des Volumens des Sehnervenkopfes gemessen werden, um das Ausmaß des Papillenödems zu quantifizieren. Die RNFL muss vorsichtig interpretiert werden, da eine Verringerung der RNFL sowohl auf eine Abnahme des Papillenödems als auch auf den Verlust von retinalen Nervenfasern im Sinne einer Atrophie hindeuten kann. Hier ist die Messung der makulären Ganglionzellschicht (GCL) hilfreich, deren Dicke sehr gut mit dem Schaden an den Sehnervenfasern korreliert. Die Messung des Durchmessers der Sehnervenscheide mittels Ultraschall (Transbulbärsonographie) kann eine intrakranielle Druckerhöhung mit guter Sensitivität und Spezifität erkennen und bietet auch Potential als Marker des Therapieansprechens.
Die Therapie der IIH umfasst als Hauptsäule eine Gewichtsabnahme mit dem Ziel von zumindest 10-20% des Ausgangsgewichts. Wird dieses Ziel erreicht, kann bei etwa 80% der Patient:innen eine dauerhafte Remission erreicht werde, d.h. diese Patient:innen haben keine Symptome und benötigen keine Medikamente. Wenn dieses Ziel mit konservativen Maßnahmen (Ernährung, Bewegung) nicht erreicht werden kann, stehen medikamentöse Therapien (z.B. Glukagon-like Peptide 1 Agonisten) oder bariatrisch-chirurgische Eingriffe zur Verfügung.
Die Gewichtsabnahme wird ergänzt durch die medikamentöse Behandlung zur Senkung des intrakraniellen Drucks mit Azetazolamid (Diamox) und/oder Topiramat. Die Therapie wird je nach Verlauf, Ausmaß der Symptome und Verträglichkeit angepasst. Besteht ein Risiko für eine Schädigung des Sehnervs mit schweren und irreversiblen Gesichtsfelddefekten oder Sehverlust, werden invasive Maßnahmen wie eine lumbale Liquordrainage oder chirurgische Eingriffe (z.B. Ventrikulo-abdominales Shunting) eingesetzt.
Das Langzeitoutcome wird neben der drohenden Sehbehinderung durch die oft chronischen Kopfschmerzen bestimmt, die sich als einer der wichtigsten bestimmenden Faktoren der Lebensqualität von IIH-Patient:innen herausgestellt haben. Auch die sozioökonomischen Folgen der IIH sind erheblich. Allein in den USA übersteigen die geschätzten direkten medizinischen Kosten 444 Millionen US-Dollar pro Jahr (>17.000 US-Dollar/Patient:in), für Europa sind leider keine Zahlen verfügbar.
Aufgrund der zunehmenden Komplexität sowohl der (Differential-)Diagnostik als auch der zur Verfügung stehenden Therapieoptionen sollten Patient:innen mit Verdacht auf IIH oder bereits diagnostizierter IIH an spezialisierten Zentren mit Zugang zu den notwendigen Ressourcen für Diagnostik und Therapie zugewiesen und behandelt werden.
An der Universitätsklinik für Neurologie wird eine umfassende Diagnostik und Betreuung von IIH-Patient*nnen auf der höchsten Versorgungsstufe mit anerkannten diagnostischen und therapeutischen Verfahren angeboten.
Im Mittelpunkt steht für uns immer der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen. Als unsere oberste Aufgabe sehen wir den Erhalt der Alltagsfunktion und die bestmögliche Linderung der Beschwerden sowie umfassende und kompetente Beratung zu allen Aspekten der IIH.